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Hans Dieter Sauer


Die japanischen Schulkinder waren die Klügsten. Als am 11. März die Sirenen heulten, verhielten sie sich genau so, wie es ihnen immer wieder eingebläut worden war. Tsunami, tendenko! Wenn ein Tsunami kommt, renne bergauf. Das rettete den allermeisten von ihnen das Leben. Nicht alle Bewohner der Küste folgten so strikt den Regeln. Vielleicht wähnten sie sich hinter den Tsunami-Barrieren in Sicherheit, so die Vermutung von Domenico Giardini, dem Leiter des Schweizerischen Erdbebendienstes. Und viele alte Menschen konnten wohl einfach nicht schnell genug fliehen; die Hälfte der Toten ist über 65 Jahre alt. 

Lückenhaftes Wissen

Schon wenige Minuten nach dem Beben wurde die höchste von drei Tsunami-Alarmstufen ausgelöst. Dadurch konnten sich Hunderttausende in Sicherheit bringen. Gleichwohl fragt sich Costas Synolakis, der Leiter des Tsunami Research Center an der University of Southern California, ob sich nicht noch mehr Menschen gerettet hätten, wäre über die Höhe der Welle informiert worden. Auf die Ankündigung eines 12-Meter-Tsunamis reagiere man anders als auf den üblichen Alarm. Doch Jörn Lauterjung, der Leiter des deutsch-indonesischen Tsunami-Frühwarn-Systems, widerspricht entschieden. Bei einer so kurzen Vorwarnzeit – erste Küstenabschnitte erreichte der Tsunami schon 15 Minuten nach dem Beben – seien detaillierte Informationen nicht sinnvoll. Man müsse sich auf einfache Signale beschränken.

Sicher ist, dass die Sperrwerke die Wellen kaum irgendwo aufhielten, auch nicht beim AKW Fukushima. Beim Bau des ersten Reaktorblocks Ende der 1960er Jahre war die Plattengrenze vor der Küste, die das 9,0-Magnitude-Beben und den Tsunami auslöste, noch nicht bekannt. Man orientierte sich an einem 3,50 Meter hohen Tsunami, der 1960 von einem Beben mit Magnitude 9,5 in Chile ausgelöst worden war. Die Basis des Kraftwerks liegt 4 Meter über dem Meeresspiegel – damit schien hinreichende Sicherheit gegeben. Zusätzlich baute man vor der Küste einen 5,70 Meter hohen Wellenbrecher.

Kritik von Forschern

In der Tageszeitung «Asahi Shimbun» vom 26. März kritisierte eine ganze Reihe japanischer Wissenschafter, dass neue Erkenntnisse über die mögliche Stärke von Beben und die Höhe von Tsunamis nicht in bessere Schutzmassnahmen für den mittlerweile auf sechs Blöcke angewachsenen Kraftwerkskomplex umgesetzt wurden. Eine unheilige Allianz zwischen Nuklearindustrie, Industrieministerium und Überwachungsbehörden habe das verhindert.

Laut Christian Berndt von der Universität Kiel lässt sich heute für einen bestimmten Küstenabschnitt die maximal mögliche Tsunami-Höhe berechnen. Räumlich konzentrierte Anlagen wie AKW liessen sich demnach mit entsprechendem Aufwand schützen. Für die Siedlungen an der Küste insgesamt ist das aber ein Ding der Unmöglichkeit. Premierminister Naoto Kan hat deshalb angekündigt, man wolle den Wiederaufbau auf höherem Terrain vornehmen. Von dort könnten die Bewohner zu den Arbeitsplätzen in den Häfen pendeln.

Eine weitere Massnahme drängt sich auf. Inmitten der Trümmerwüsten sind immer wieder einzelne intakte Bauten zu sehen. Sie hielten dem Wasser stand, weil sie wie Pfahlbauten auf massiven Stelzen ruhen. Nach dem Tsunami von 2004 hatte Japan derartige Bauten auf Sumatra errichtet. Über breite Rampen können sich viele Menschen rasch dorthin retten. Mehr solche Gebäude braucht es nun auch in Japan selbst.
 


Neue Züricher Zeitung vom 06.04.2011.
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Das ist unfassbar.





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