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Vor der zurückhaltend schlichten, mehr hinterfangenden denn rahmenden Naiskosarchitektur, bestehend aus zwei sehr flachen, schmalen, sich leise nach oben verjüngenden Anten, ... , entfaltet sich in hohem Relief ein eminent plastisches Bild. Die Figuren überschneiden mit ihrem Rückenkontur die Anten, die Dienerin erreicht fast den äusseren Rand der Platte.
Rechts sitzt in reinem Profil nach links auf hochbeinigem Diphros mit zylindrischen Stollen Mnesarete.
Über einem dünnen Chiton trägt sie einen Mantel aus feinem Stoff, der sich in bandartig schlichten Falten um Rücken und Schenkel schmiegt.
Die emporgenommene Rechte lüftet in Achselhöhe leicht den Mantel, die Linke liegt, völlig in das Manteltuch gehüllt, im Schoss.
Die mit Sandalen bekleideten Füsse, der rechte vorgesetzt, der linke stärker zurückgestellt, ruhen mit Ferse bzw. Zehen auf einem flachen, zierlich gedrechselten Schemel mit eingezogenen Tierfüssen und hängendem herzförmigen Mittelblatt.
Vor Mnesarete steht in ebenso strengem Profil nach rechts mit vor dem Schoss verschränkten Händen die Dienerin. Unter dem schlichten, langärmeligen, bis auf den Boden reichenden Gewand zeichnen sich die jugendlich prallen Körperformen ebenso deutlich ab wie bei der Herrin.
Beide Figuren halten den Kopf etwa gleich stark gesenkt.
Das mit dem Rundmeissel skizzenhaft angelegte und für Farbauftrag rauh gelassene, kurzgelockte Haar ist bei der Dienerin schlichter und von wolliger Konsistenz, bei der Herrin dagegen schmiegt sich vor dem gewellten Kalottenhaar ein äusserer Lockenkranz um einen schmalen Reif... .

Beide, in tiefer Versunkenheit befangene Gestalten nehmen einander nicht wahr.
Der Blick der Dienerin fällt nur scheinbar auf den verhüllten Arm der Herrin und damit auf das, was von der schönen Erscheinung am undeutlichsten ist, am stärksten verborgen bleibt.
Dieses Motiv des eingehüllten Arms in Verbindung mit der gebeugten, in sich zusammengesunkenen Haltung mag gleichsam einFrösteln verdeutlichen, kann Hinweis auf ein sich-Verschliessen der Figur sein.
Eindringlich und ergreifend wird die endgültig gewordene Untätigkeit der Herrin und Frau des Hauses zur Schau gestellt.
In: Barbara Vierneisel-Schlörb: "Glyptothek München, Katalog der Skulpturen, Band III. Klassische Grabdenkmäler und Votivreliefs" S. 19 ff, Verlag C.H. Beck, 1988. 

Grablekythos einer Frau, "Münchner Lekythos".
Erh. H. 76 cm (urspr. H. etwa 1,30 m). Grösste Breite 35,4 cm, am Schulterknick 33,2 cm. Reliefhöhe an der Fussleiste 1,5 cm, an den Figuren bis 2 cm. H. des Mannes 34,2 cm. - Pentelischer Marmor mit warmer ockergelber bis rostbrauner Patina, mit den typischen senkrecht verlaufenden graugrünen Glimmeradern.
Angeblich aus Salamis. Erworben 1910, zunächst Leihgabe, dann Geschenk des Bayerischen Vereins der Kunstfreunde.
Gegen 370 v. Chr..

Die Szene der "Münchner Lekythos", die seit C. Curtius enthusiastischer Würdigung im MüJb 6, 1911, 173 ff. zum Repertoire der meisten Kunstgeschichten gehört, ist einfacher schlechthin kaum denkbar.
Im Handschlag verbunden steht sich ein ebenbürtiges Paar gegenüber, der reife, aber keineswegs alte Mann auf seinen einst gemalten Stab gestützt, die junge Frau in leichter Schrittstellung von rechts herantretend.
Beide Gestalten in Dreiviertelansicht, die Köpfe in strengen Profil.
Die Linke des Mannes ist in den Mantel gewickelt, das Körpergewicht ruht auf dem rechten Bein, während das linke nicht, wie so oft bei entsprechenden Darstellungen attischer Bürger, verschränkt, sondern entlastet zurückgesetzt ist.
Das über die linke Schulter geworfene und mit einem Faltenbündel unter der rechten Achsel durchgezogene Himation folgt in knappen, spröden Zügen dem schmalen Kontur der hochgewachsenen Gestalt.
Trotz fehlender plastischer Angabe der Zehen waren die Füsse wohl eher nackt als, wie meist vermutet, mit gemalten Sandalen bekleidet, denn es lassen sich keine Sohlen erkennen.

Der aufrecht gehaltene Kopf mit gepflegtem, in welliges Kalottenhaar und umlaufenden lockeren Kranz unterteilten Haupthaar und mittellangem, vollen Bart ist mit festem Blick auf die Partnerin gerichtet, während die vorgestreckte Rechte deren Hand mit warmem Druck zu umfangen sucht.
Dieses Gegenüber, eine grazile Gestalt zwar, doch voll entwickelt und keineswegs mehr ein Mädchen von etwa fünfzehn Jahren (Curtius), wirkt tatsächlich mit Curtius´ Worten wie eine Nachtwandlerin.
Über dem langen, bis auf den Boden bzw. die sicher mit weichen Schuhen bekleideten Füsse reichenden Leinenchiton liegt ein leichter, die zarten Körperformen nachzeichnender Mantel, der schräg über die Brust geführt ist.
Die Feinheit des Gewebes verdeutlicht besonders der hinter dem dicht verhüllten linken Arm in Bogenfalten herabhängende dreieckige Zipfel.
Von noch leichterer Textur ist das Schleiertuch, das über den Hinterkopf gelegt ist.
Dass es sich hierbei wohl nicht um eine Mantelbahn handelt, zeigt die unterschiedliche Behandlung der beiden Textilien im Nacken und deren deutliche Trennung voneinander.
Das Haupt mit dem schlichten, in der Anlage der Frisur des Mannes ähnelnden Haar (nur das Stirnhaar wirkt fester und straffer), ist tief geneigt.
Die Züge des glatten, jugendlichen Gesichts sind ernst und verschlossen und bei richtiger, nämlich dem Sonnenlicht entsprechender Vertikalbeleuchtung in Schatten getaucht.
Bereits Curtius hat hervorgehoben, dass sich die vorgestreckte Rechte "nicht zum Gruss zusammenschliesst" - eine fein nuancierte Geste, die die Entrückung der gleichsam durchsichtigen Erscheinung hinreichend charakterisiert.
Meisterschaft bei grösstmöglicher Einfachheit der Komposition. Form und Inhalt in schönstem Einklang. Entwurf und Ausführung aber auch aus einem Guss. Der Sicherheit grosszügiger Linienführung entspricht die Wiedergabe kleiner Details (Falterung am Hals der Frau, Stoffbausch in der Ellenbogenbeuge, Querfurche auf der Stirn des Mannes). Die Behandlung des männlichen Inkarnats ist gekonnt, die Charakterisierung des weichen, schmiegsamen Mantelstoffs am linken Arm der Frau lebensnah.
Dass diese ihrem Format nach ganz und gar unmonumentale Lekythos mit ihrem schlichten, rahmenlosen Bild in flachstem Relief auch heute noch jeden Besucher der Glyptothek rührt und zu den Kostbarkeiten des Hauses zählt, erklärt sich aus der stillen Grösse der Darstellung.
Der trotz einer gewissen Sprödigkeit richtig akzentuierte und einander an beiden Gestalten in bestimmten Partien gleichsam respondierende Linienfluss der Gewänder, die ausgeglichene Verteilung der Schwerpunkte und die schwerelose Harmonie der eher schmächtigen Figuren, schliesslich die Intensität der verinnerlichten Stimmung verhelfen dem Bild zu einer Einheit, wie sie selbst innerhalb der attisch klassischen Kunstentwicklung auf Grabreliefs, erst recht aber bezogen auf die Gattung der Marmorlekythen alles andere als selbstverständlich ist.
In: Barbara Vierneisel-Schlörb: "Glyptothek München, Katalog der Skulpturen, Band III. Klassische Grabdenkmäler und Votivreliefs" S. 121 ff, Verlag C.H. Beck, 1988. 
Statue eines Athleten, Kopie (360/350 v. Chr.)
In der fliessenden Gestalt und dem versunkenen Ausdruck des mit sich selbst beschäftigten Athleten steht uns die neue Verinnerlichung des 4. Jahrhunderts eindrucksvoll vor Augen. Der unbekannte Künstler, dessen Auftrag es war, für einen Sieger im Wettkampf eine Ehrenstatue zu arbeiten, hat den Jüngling ganz in sich gekehrt dargestellt, da er sich anschickt, nach dem errungenen Sieg sich zu reinigen. Er träufelt sich dazu aus einem kleinen Gefäss, das seine erhobene rechte Hand umfasste, Salböl in die offene linke Handfläche.
Aus: "Glyptothek München, Griechische und römische Skulpturen" von Dieter Ohly.